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Juli - Jägerlatein: Tödliche Lernhilfe

Tödliche Lernhilfe

 

Er stand plötzlich in meinem Zimmer. Seine smaragdgrünen Augen funkelten wie die einer Katze und jagten mir einen kalten Schauer über den Rücken. Ich wusste wer, oder besser, was er war. Und vor allem, warum er zu mir kam. Ehe ich schreien oder aus dem Bett springen konnte, streckte er seine rechte Hand flach vor sich aus. Jäh lag ich auf einem kalten Boden, um mich herum war nur Licht.

 „Tun Sie mir nix. Ich geb´s zurück. Es liegt in meiner Schultasche. Lassen Sie mich gehen!“ Flehend sah ich zu ihm hoch.

Er setzte sich seelenruhig auf einen aus dem Nichts auftauchenden Hocker und zog eine silberne Taschenuhr aus seinem dunklen Gewand.

„Was haben Sie vor? Ich bin erst siebzehn, verdammt. Nehmen Sie ihr Buch, aber lassen Sie mich. Bitte, ich…“

 „Setz dich Mara. Du hast schwere Schuld auf dich geladen und mit dem Zurückgeben ist es nicht getan. Mein Name ist Leras und heute bin ich hier um über dein frevelhaftes Benehmen zu urteilen. Dir ist wohl nicht gewahr, was du angerichtet hast. Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?“

„Oh Manno. Ich hab doch nix Schlimmes gemacht.“

„Du hast einigen Menschen ihr mögliches Todesdatum verraten.“

„Na und? Was ist schon dabei? Ärzte tun das dauernd. Ich hab den Leute ne faire Chance gegeben.“

„Ich weiß mehr, als dir lieb ist. Zum einen hast du die Angaben nicht begriffen, für Unbedachte ist das Jägerlatein, somit hast du Lügen verbreitet. Zum anderen hast du Geld für diese Informationen gefordert. Du stehst unter Anklage wegen Diebstahl, dem Enthüllen geheimer Informationen aus purem Eigennutz, der Bereicherung auf Kosten des Leidens anderer Menschen und dem Verhandeln mit dem Bösen.“ Er ließ eine mit Wasser gefüllte irdene Schüssel vor mir auftauchen, daneben einen hölzernen Kelch. Ich wich zurück.

„Fliehen wird dir nicht helfen. Trinke einen Schluck.“

„Nö. Ich bin nicht bescheuert. Auf sowas fall ich nicht rein. Wetten, da ist Gift drin.“
„So, vor diesem Wasser hast du Angst, denn ich bin ein Engel des Todes“, er ballte seine Hand zu einer Faust und öffnete sie langsam, „Aber diese Pillen schluckst du wie Bonbons.“

Entsetzt starrte ich auf die Tüte mit den weißen Dragees. Wie viele meiner Geheimnisse hatte er aufgedeckt? „Mann, da ist nix dabei. Es steigert die Konzentration. Hey, ich muss meine Prüfungen schaffen. Jeder tut es, ist noch nie was passiert.“

„Ich werde dir erklären, wie es möglich ist, mich oder mir gehörende Gegenstände zu erblicken. Ich zeige mich bewusst, du hast dir die Gabe von einem Schattenwesen erkauft, oder du stehst auf der Kippe.“

„Aber dann bin ich… Nein. Diese Pillen sind harmlos, echt.“

„Dann bleibt einzig die zweite Möglichkeit.“

„Das können Sie mir nicht anhängen. Mit Dämonen arbeite ich nicht, bin doch nicht crazy. Hell no!“

„Aber mit Drogenhändlern zu verkehren, findest du richtig. Deshalb brauchst du das Geld. Deine Sucht ist der Grund, warum du mich siehst.“

„Hey, ich bin kein Junkie. Brauch die echt nur, um meine Examina zu bestehen. Außerdem ist es ein Schüler, kein Dealer.“

„Jeder, der Drogen verkauft, gilt als Dealer, egal, ob er Schüler oder Mafiosi ist. Deine Aussagen haben bestätigt, was ich vermutete. Ich banne dich hier fest, um über dein Tun nachzusinnen. Du wirst jede zweite Stunde Aufgaben schreiben und dies solange, bis du verstanden hast, wie du von mir loskommst.“

„Meine Eltern werden mich suchen.“

Leras zuckte mit den Schultern und verschwand. Dort, wo er gestanden hatte, lag ein Pergament, auf dem Rechenaufgaben zu lösen waren.

 

Dachte er etwa, ich könnte nicht rechnen? Ich setzte mich hin. Wie sollte mir Mathe helfen, mich vom Todesurteil zu befreien? Wie konnte ich von dem Fluch durch Rechnen loskommen? Das ergab keinen Sinn. Kopfschmerzen folterten rasch mein Gehirn, die Zahlen tanzten vor meinen Augen. Heftig begann ich zu zittern. Pillen, ich brauchte Pillen. Meine Gedanken kreisten nur noch um diese Dragees. Ohne die war ich verloren.
„Gib sie mir zurück.“

Leras erschien nicht, sondern ein weiteres Blatt. Ich sackte zu Boden. Das konnte er jetzt nicht ernst meinen. Ich schrie und tobte, bis ich erschöpft einschlief. Wie lange ich so blieb, wusste ich nicht. Irgendwann trank ich das Wasser und weinte. Was geschah mit mir? Wieso konnte ich nicht ohne Medikamente auskommen? War ich wirklich süchtig?

„Ok, helfen Sie mir. Bitte.“

Er erschien neben mir, drückte mich sanft. Ich krallte mich verzweifelt an ihm fest. „Ich bin doch kein Junkie, ich bin nicht….“

„Abhängig? Kind, du hast gelogen, betrogen, bestohlen, um dir das Zeug zu beschaffen. Du bist auf Irrwegen unterwegs. Vergib mir, ich musste dir zeigen, wohin dich dein Handeln bringen wird. Vor den Richter auf der Welt oder in das Licht. Du sagst, du willst nicht sterben, dann beginne, um dein Leben zu kämpfen.“

„Ich kapier das nicht. Nie ist irgendwer davon…..“

„Es gibt noch weitere Abhängige. Wie du, wissen sie, es zu verbergen.“

„Sie sagen kämpfen? Ich weiß aber nicht wie, ich will nur diese Pillen.“

Er richtete mich auf, sah mir fest in die Augen.  „Sieh mich an und versuch an etwas anderes zu denken. Du wolltest den Leuten nur eine Chance geben, um dich zu bereichern. Wie wäre es damit, deine Mitschüler vor dem Tod zu bewahren, indem du aussagst? Solange der Verkäufer da ist, schwebst du wegen deiner Sucht in Gefahr. Du alleine kannst dich von mir lösen, es ist deine Entscheidung. Dafür musst du dich mir hingeben.“

„Warum?“

„Erinnerst du dich nicht an gestern Abend?“

„Oh Scheiße. Die Matheprüfung. Ich hab gelernt und nein… nein… Ich sterbe, ich hab sechs Stück genommen, es wirkte nicht wie immer….Fuck, Sie sind nicht nur wegen dem Buch gekommen.“

„Das Buch könnte ich mir so holen. Es geht um dein Leben. Wie ich sagte, es liegt an dir. Du musst fallen, um aufzustehen.“

„Und wenn ich nicht kämpfen will?“

„Du liegst im Koma. Wenn du nicht kämpfen willst, gehen wir weiter, und du kommst vor ein anderes Gericht.“

„Aber ich kann zu mir kommen, oder?“

„Du kannst erwachen, und alles beim Alten belassen. Wir sehen uns dann in Kürze wieder. Die dritte Lösung ist zu kämpfen. Dafür gibst du mir die Zügel in die Hand. Ich versetze dich so tief ins Koma, dass du hier gegen deine Sucht kämpfen kannst. In deinem Fall ist es besser, das alte Leben zu verlieren, um neu beginnen zu können. Auf der Welt wird dein Körper entgiftet.“

„Hell no. Das bedeutet….“

 Es gab nichts mehr zu entscheiden. Mehr brauchte er nicht zu sagen. Lieber sich ihm hingeben, als von ihm weiter ins Jenseits geführt zu werden. Der zu erwartende Ärger war mir egal, ich wollte leben!

 

(Lucy Engel, Autorin aus Luxemburg)

 

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