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Türchen 15 "Adventskranz"


Ein besonderer Adventskranz

Ein lauter Aua-Schrei unterbrach Hildas Mittagsschlaf. Die rüstige alte Dame eilte zur Wohnungstür und öffnete sie. Auf dem Boden saß Evy und rieb sich den Po. In ihren Händen hielt sie Hildas Kranz, der über ihren Klingelknopf gehangen hatte. Schuldbewusst blickte Evy zu Boden. Hilda kannte ihre kleine Nachbarin sehr gut und wusste, dass es ein liebes Kind war. Stehlen passte nicht zu ihr. „Ja, was wolltest du mit dem Kranz?“
„Es gibt diese Geschichte der vier Kerzen. Die Letzte ist die Hoffnung. Ich wollte eine haben, damit ich niemals aufgebe, daran zu glauben, dass sich mein sehnlichster Wunsch erfüllt. Aber Mutter wollte keinen Adventskranz kaufen. Sie fand sie zu teuer. Ich hätte ihn dir zurückgebracht.“
Wäre es nicht traurig, hätte Hilda geschmunzelt. „Aber Kind, mein dekorativer Kranz ist zu klein, um daraus einen Adventskranz zu basteln. Ich weiß eine bessere Lösung. Wir gehen in den Wald und suchen uns die Materialien zusammen. Ich rufe deine Mutter an und gebe ihr Bescheid, wo du bist. Deine Aktion hier bleibt unter uns.“
Dankend schmiegte sich Evy an Hilda und raunte: „Ich verrate dir meinen Wunsch. Ich will nicht mehr so oft allein sein. Leider muss Mutter arbeiten und Vater ist im Himmel.“
„Dann machen wir auch einen Kranz für mich. Seit Rudi bei Gott ist, bin ich auch allein.“

Am Abend standen zwei Adventskränze auf Hildas Tisch.
Evys Mutter lächelte Hilda freundlich an. „Ihr hattet Spaß. Wollt ihr das nicht öfter machen?“
Evy und Hilda nickten freudestrahlend.

 

© 2020 Lucy Engel (Luxembourg)

 


Der Wichernkranz
   
Die beiden Mädchen saßen bei ihrer Großmutter in der Bauernstube und schauten zu, wie sie die Kerzen am Adventskranz anzündete.
„Erzählst du uns eine Geschichte?“, fragte Emma.
„Oh ja! Bitte eine Geschichte von früher“, bettelte Hanna. Es war Adventssonntag und drei Lichter erhellten das Zimmer. Die Großmutter schaltete zur Freude der Kinder die Deckenlampe aus, bevor sie sich zu ihnen an den Tisch setzte.
„Wisst ihr, wer den Adventskranz erfunden hat?“ Die beiden schüttelten die Köpfe. „Dann hört gut zu, denn so lange gibt es diesen Brauch noch gar nicht. Es war im Jahr 1839:

Es war einmal ein Mann, der in einem Hamburger Waisenhaus arbeitete, das der evangelischen Kirche unterstand. Obwohl die Kinder dort nicht auf Geschenke hoffen konnten, wie es heute der Fall ist, fieberten sie dem 24. Dezember entgegen wie ihr.
Johann Wichern, so hieß der Erfinder, hängte ein enormes Wagenrad im Gemeinschaftssaal auf und bestückte dieses mit vier großen weißen Kerzen, die für die Adventssonntage standen, so wie ihr es kennt. Aber dazwischen stellte er kleinere, rote Kerzen für die Wochentage auf. Begonnen wurde am ersten Advent.“

„Aber dann brauchte er doch jedes Jahr unterschiedlich viele Kerzen?“, fragte Hanna, die gut im Rechnen war. „Der erste Advent fällt nämlich nicht immer auf den gleichen Tag.“
„Ganz recht, da hast du gut aufgepasst. Genaugenommen variierte die Anzahl zwischen achtzehn und vierundzwanzig. Jeden Tag durfte ein anderes Kind eine Kerze anzünden und so veranschaulichte er die Tage bis Heilig Abend. Und nebenbei, lernten sie das Zählen.“

 

© 2020 Flora MC (Alsace)

 


Das Stiegenhaussingen

Monika betritt das Schulhaus und hört das schallende Stimmengeschwirr von Kindern und Erwachsenen. Sie sieht auf die Uhr. Zwei Minuten noch. Mit schnellen Schritten läuft sie vor das Klassenzimmer ihres Sohnes, wo für die Eltern Sitzreihen mit Stühlen aufgestellt sind.
„Hier!“, kommt es von einer dunkelhaarigen Frau von einem Sitzplatz in der ersten Reihe. „Habe dir einen Platz freigehalten.“
„Danke Sandra, du bist ein Schatz. Mein Chef brauchte noch was und dann habe ich den Bus verpasst.“
Die Kinder der einzelnen Klassen stehen auf den Stiegen und Stockwerken mit ihren Lehrerinnen verteilt. Theo winkt ihr zu. Sie zwinkert ihrem Sohn zurück.
Ein Gitarrenspiel erklingt. Die letzten Kinder stellen sich geordnet in Reihen auf. Die Gespräche neben ihr verstummen.
„Liebe Eltern, liebe Kinder und liebe Besucher. Ich darf sie zu unserem heutigen Stiegenhaussingen begrüßen. Die Kinder haben die letzten Tage viel geübt und freuen sich schon sehr. Mit dem Anzünden der Kerzen am Adventskranz eröffnen wir das diesjährige Singen“, spricht die Direktorin. Die Lehrerin neben ihr zündet mit den Kindern die drei Kerzen an.
„Es beginnt die Klasse 2a mit einem traditionellen Weihnachtslied. Wir wünschen viel Vergnügen.“
Die Musik erklingt und die Kinder auf der Stiege oben stimmen ein: „Es wird scho glei dumpa, es wird ja scho Nacht.“
Monika verkneift sich ein Lachen. Sie hört die schiefen Töne von Theo heraus. Neben ihr steht Frau Maurer, die Religionslehrerin. „Guten Abend. Es ist schön, mit welcher Begeisterung Theo beim Singen dabei ist. Er strahlt ja richtig.“

 

© 2020 Sandra Novak (Wien)

 


Adventsgeist

Mit den zitternden Händen brauchte sie eine gefühlte Ewigkeit, um die verflixte Wohnungstür aufzuschließen. Sofort stürzte sie ins Wohnzimmer, auf das Schlimmste gefasst. Verwirrt schaute sie sich um, bis ihr Blick auf dem Adventskranz hängenblieb. Was um alles in der Welt ...?

Sie drückte mit dem Finger auf die Klingel, bis er schmerzte, dann hämmerte sie gegen die Tür ihrer Nachbarin.
„Was tust du?“ Die dritte Tür auf dem Stockwerk öffnete sich, und Lisa linste heraus. „Frau Neuhuber ist nicht da. Die ist doch schon vorgestern zu ihrem Sohn nach Kiel gereist. Was willst du denn von ihr?“
„Fragen, ob sie völlig übergeschnappt ist! Ich war auf dem Weg zu einer genialen Party, und dann ruft sie an, weil ich angeblich vergessen hätte, meinen Adventskranz auszumachen. Es qualmt und bald geht alles in Flammen auf.“ Karen trat gegen die Tür. „Ich lasse die Fete sausen, nehme ein teures Taxi, und als ich hier ankomme, ist alles okay. Die Kerzen sind aus, nichts passiert!“
Lisa zuckte die Schultern. „Also die Neuhuber war’s nicht. Da hat sich wohl einer einen Scherz erlaubt.“
Frustriert meldete Karen sich bei ihrer Freundin. „Hi, Lotta. Tut mir leid, aber ich komme nicht zur Party. Danke trotzdem für die Einladung.“
Die Antwort verwirrte sie dann endgültig. „Wovon sprichst du? Ich weiß weder von einer Party noch von einer Einladung.“

Am nächsten Morgen ließ sie ein Artikel der Online-Nachrichten innehalten. „Triebtäter lockt Opfer per fingierter Einladung in Falle. Bleiben Sie achtsam!“
Welcher Schutzgeist hatte sie da rechtzeitig gewarnt?

 

 © 2020 Anathea Westen (Lipperland)

 


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