Ein besonderes Geschenk
Missmutig betrachtete ich meinen Weihnachtsbaum, versuchte verzweifelt etwas Hoffnung zu schöpfen. Vergeblich. Alles, was ich fühlte, war Leere und Furcht. Sorgen plagten mich, Arbeit bedeutete
Frust. Sie war auf Profit maximiert und für mich sinnentleert. Jeden Tag gab es mehr in weniger Zeit zu bewältigen, Personal wurde abgebaut. Wieder fragte ich mich, was mein Leben eigentlich noch
bedeutete.
„Lass mich nicht mehr in dieser Welt erwachen!“
Mit dieser Bitte ging ich ins Bett.
Glockengeläut erweckte mich. Ich lag auf einem Lichthalo inmitten von dunkler Schwärze. Geschenke schwebten wie Seifenblasen um mich herum. Verwirrt versuchte ich aufzuwachen. Aber ich blieb in
diesem Traum, wenn es denn einer war, gefangen. Eine Gabe streifte mich.
„Öffne sie!“
Die sanfte Stimme erscholl in mir. Ich griff nach dem Päckchen, zerriss das mit Blaumeisen verzierte Geschenkpapier. Drinnen war nichts. Was hatte das zu bedeuten?
„Öffne den nächsten.“
Ich fischte mir einen, der mit einem weißen Hund bedruckt war, heraus. Wieder war nichts drinnen. Es war leer. So wie mein Leben. Alles was blieb, war dieses wunderschöne Geschenkpapier. „Was
läuft hier?“
„Denk nach. Du wirst die Antwort finden.“
Ich sah auf das Papier, das ich gerade selbst mit meinem Leben verglichen hatte. „Es ist das Papier, diese Meise, dieser Hund, das sind liebevolle Erinnerungen. Mein Leben ist das schönste, den
Sinn aber muss ich selbst suchen. Ich weiß nun, was tun. Ich werde meinen Traum des Schreibens leben, nicht sterben. Danke für dieses neue Leben.“
Meine Bitte war auf besondere Weise erhört worden.
© 2020 Lucy Engel (Luxembourg)
Eine schöne Bescherung
Peter trommelt mit den Fingern aufs Knie. Die Bescherung ist schon fast zu Ende, aber Oma Ilse ist immer noch dabei, ihr erstes Geschenk akribisch aufzuknibbeln. Sie schaut auf und schickt ein
Lächeln in die Runde. Vor ihr türmen sich die restlichen Pakete. Die Enkel sind mit ihren neuen Errungenschaften beschäftigt. Der Rest der Familie wartet auf die hoffentlich positiven Reaktionen
ihrer Präsente, sollte es heute noch zu einer Enthüllung kommen.
Oma Ilse zieht ein Heizkissen im Angora-Überzug aus einem Pappkarton. Sie leidet seit ihrem fünfzigsten Lebensjahr an Hitzewallungen und schläft bevorzugt bei offenem Fenster, aber warum soll sie
ihrer Schwiegertochter vor den Kopf stoßen? An ihrem erwartungsvoll halb geöffneten Mund hat sie sofort erkannt, dass es sich um ihr Geschenk handeln musste. Sie bedankt sich herzlich.
Die Sache zieht sich vier Cognac und drei Gin Tonic hin, bevor endlich das letzte und größte Paket an die Reihe kommt. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt ihrer beiden Enkelkinder und sie brennt
darauf, es auszupacken. Ilse bleibt ihrer Vorgehensweise treu. Vorsichtig löst sie den Tesafilm von den Kanten und entfernt das Geschenkpapier. Aber jedes Mal, wenn sie eine Schicht abgearbeitet
hat und das Päckchen öffnet, kommt ein neues Paket zum Vorschein, das entpackt werden will.
Ihre Enkel amüsieren sich prächtig. Eine Stunde und zwei Flaschen Prosecco später ist es geschafft. Oma Ilse schaut verblüfft auf den kleinen USB-Stick in ihren Händen. Die Kinder helfen. Kurz
darauf, schauen alle gespannt ein Diaporama über die gemeinsamen Familienfeste des Jahres, auf dem Fernsehgerät.
© 2020 Flora MC (Alsace)
Die Weihnachtsliste
„Vielen Dank, dass Sie mit den Kindern ins Kino gehen Frau Schiller“, sagt Mama zu der Nachbarin.
„Das mache ich doch gerne. Ich freue mich, wenn die Beiden bei mir sind.“
„Dann wünsche ich euch viel Spaß. Bis später.“ Mama winkt den Kindern nach.
Sie schließt die Tür und zieht die Weihnachtsliste aus ihrer Handtasche heraus. „Es ist so viel zu erledigen, wie soll ich das nur schaffen. Jetzt werden erstmal die Geschenke verpackt“, murmelt
sie vor sich hin.
Sie holt die Geschenke, das Weihnachtspapier und die Geschenkbänder aus dem Schrank „Miki, so geht das nicht!“ Die getigerte Katze sitzt auf dem Esstisch und schubst mit ihrer Pfote eine
Geschenkpapierrolle nach der anderen auf den Boden. Mit unschuldigen Augen sieht sie sie an.
„Komm, jetzt packen wir ein“, seufzend hebt sie die Rollen auf. Sie nimmt das Puzzle und schlägt es in Papier ein und klebt es zu. Ein rotes Weihnachtsband wickelt sie um das Geschenk und bindet
eine Schleife. „Das erste Geschenk ist geschafft Miki. Weiter geht es.“
Die Katze liegt auf der Kuscheldecke, die ein Geschenk für die Nachbarin ist.
„Komm runter. Die müssen wir einpacken.“ Sie zieht die Decke unter der Katze hervor und verpackt sie.
Miki spielt mit dem Weihnachtsband und zerrt mit der Pfote das Päckchen vom Tisch.
„Miki!“
Mit einem unschuldigen Blick schaut sie ihr Frauchen an, kommt zu ihr und schmiegt sich an sie und schnurrt.
„Okay. Ich gebe mich geschlagen. Wir machen eine Pause.“ Sie krault Miki hinter den Ohren.
© 2020 Sandra Novak (Wien)
Weihnachtswunder
Leise schloss sie die Zimmertür. Der nächtliche Spaziergang im Heim hatte sich gelohnt. Sie eilte mit ihrem Fund zum Tischchen und strich das Geschenkpapier glatt. Es sah gut aus mit den
silbernen Sternen auf dunkelblauem Grund, und derjenige, der es neben den Zeitschriften vergessen hatte, würde es sicher schmerzlich vermissen. Der Gedanke, dass die Geschenke eines anderen
Bewohners unverpackt unter den Baum landen würden, stimmte sie ausgesprochen fröhlich.
Sie streifte sich Gummihandschuhe über und legte los. Eine Packung mit gebrauchten Kondomen wurde ebenso festlich eingepackt wie das Paar löchriger Socken oder die Pralinenbox gefüllt mit leeren
Bonbonpapieren. Für jeden der Heimbewohner war ein unappetitliches Präsent dabei.
Wie immer übernahm die Heimleiterin die Verteilung, und Herbert bekam als Erster sein blau-silbernes Geschenk zum Auspacken. Martha hielt sich im Hintergrund, voller Vorfreude auf die entsetzen
Reaktionen der Mitbewohner. Das Lächeln erstarrte, als ihr Zimmernachbar eine alte Eisenbahn-Lok in die Runde zeigte.
„Genau so eine hat mir damals mein Großvater geschenkt!“
Helene wickelte nicht die zugedachte Pralinenschachtel, sondern einen prächtigen Bildband über Paris aus, jenen Ort, an dem sie die schönste Zeit ihres Lebens verbracht hatte. Sie strahlte,
tauschte sich begeistert mit den anderen aus, während Martha ungläubig zusah, wie Dinge zum Vorschein kamen, die sie mit Sicherheit nicht verpackt hatte.
„Hier, Frau Dietmann, ihr Geschenk.“ Die Heimleiterin legte ihr lächelnd ein blau-silbernes Präsent in den Schoß. „Sieht aus, als würde dieses Jahr jeder bekommen, was er verdient.“
Stumm trug Martha das Päckchen in ihr Zimmer. Es zu öffnen, wagte sie nicht.
© 2020 Anathea Westen (Lipperland)
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