Flickas Parfüm
Es war ein kalter Adventsonntag. Krähenschwärme flogen über die weiße Winterlandschaft, Blaumeisen zwitscherten in den Hecken am Rande der Felder. Ich ließ meinen Blick durch die Gegend
schweifen, betrachte meine beiden Fellnasen, die ausgelassen im Schnee tobten. Der Winter war für mich perfekt. Es gab keine Traktoren, die Dung über die Felder streuten oder gefährliche
Mähdrescher. Bis auf die paar bekannte Hundebesitzer, die regelmäßig mit ihren Vierbeinern diese Wege nutzen, war niemand zu sehen. Das bedeutete für Momo und Flicka Freilauf. Ich wusste, sie
würden beide bei meinem Rufen sofort zu mir kommen. Auch wenn ich die weiße Flicka im Schnee nicht ausmachen konnte, mein Fräulein hatte es erneut geschafft, ihren feuerroten Wintermantel
abzustreifen, genoss ich den Spaziergang. Hin und wieder spähte ich zum Waldrand und suchte nach Wild. Wegen Flicka machte ich mir keine Sorgen, die jagte trotz ihrer Terrier-Natur nicht. Momo
dagegen hatte mir mal einen Hasen zurückgebracht.
Hätte ich mal mehr nach Flicka geblickt. Als ich beide Fellnasen zurückrief, erschien zu meiner Verwunderung Momo ohne Flicka. Ich suchte mit den Augen, dort, wo ich sie zum letzten Mal erblickt
hatte. Das war als ob ich eine Nadel im Heuhaufen suchen würde.
„Momo, such Flicka!“
Er sah mich irgendwie schelmisch an. In dem Moment kreuzte eine braungefleckte Flicka auf. Wedelnd sprang sie an mich hoch. Ein Duft nach Fuchs-Kot stieg mir in die Nase.
„Du gehst baden. Pfui!“
Als ob das eine Belohnung sei, schmiegte sich Flicka an meine Beine. Hosenwäsche war auch fällig.
© 2020 Lucy Engel (Luxembourg)
Trügerisches Postkartenidyll
Fritz war trotz Weihnachtsferien schon früh wach. Es hatte über Nacht geschneit und er stürmte in die Küche.
„Darf ich nach dem Frühstück raus, Mama?“
„Geh nur, aber zieh dich warm an!“
Fritz stapfte durch den Tann und bewunderte seine Abdrücke im unberührten Schnee. Mal lief er rückwärts, dann hüpfte er auf einem Bein. Auf der Lichtung baute er einen kleinen Schneemann. Er trat
aus dem Wald und sein Blick fiel auf die zauberhafte Winterlandschaft. Der See schien zugefroren und die Schneekristalle funkelten und glitzerten in der Sonne.
Fritz stand unschlüssig am Rand. Mutig betrat er das Eis im Uferbereich. Zum Test hackte er mit dem Stiefelabsatz auf die Eisfläche. Beherzt schritt er weiter hinaus und testete abermals. Da
knackte es verdächtig und feine Linien durchzogen die Oberfläche. Erschreckt schaute Fritz zurück, aber das Ufer war um Längen entfernt. Da krachte es erneut und das Eis unter seinen Füssen gab
nach. Platschend rutschte er in das Loch. Das eiskalte Wasser nahm ihm den Atem. Er war verloren. Da packte ihn eine Hand im Nacken und ergriff seinen vor Kälte gefühllosen Arm.
Entsetzt schauten die Eltern auf den triefenden Buben, der mit dem Forstwirt, in dessen Parker gehüllt, vor der Tür stand. Die Mutter schloss ihren Sohn erleichtert in die Arme, den Kopf voll
entsetzlicher Bilder.
Als Dankeschön für die Hilfe des Försters, baute Fritz mit seinem Papa eine Heu-Raufe und bei der Arbeit, sprach der Vater über den Gefrierpunkt von Wasser, das Eis und wie das alles
zusammenhängt.
© 2020 Flora MC (Alsace)
Die Runde am See
Marianne wacht auf und reibt sich die Augen. Sie hat heute ihren ersten Urlaubstag. Sie blickt aus dem Fenster und sieht nur die Umrisse des Nachbarhaus, da der Nebel dicht ist.
„Ich will Sonne. Mitzi, du bekommst noch was zum Fressen und dann sind Bella und ich mal weg.“ Die Katze schmeichelt sich an sie.
Marianne fährt mit dem Auto die Staatsstraße in Richtung der Berge. Sie sieht nur die Leitpfosten am Straßenrand. Sie stöhnt auf.
„Was haben wir uns da nur angetan, Bella?“
Ein paar Minuten später blinzelt die Sonne durch die Nebelschwaden. Nach einer erneuten Kurve scheint die Sonne die verschneiten Bäume an.
Beim See angekommen, fährt sie auf den Parkplatz. In der hintersten Reihe waren ein paar Plätze frei. „Komm auf geht’s, du Schlafmütze?“ Die Hündin sieht sie verschlafen an und trottet mit
gemächlichen Schritten aus dem Auto. Sie folgen dem Schild „Zum See“ entlang. Am Ufer des zugefrorenen Sees herrscht eifriges Treiben. Familien gehen gemeinsam spazieren. Mehrere Hundebesitzer
laufen ihre Runde.
„Hier ist mir zuviel los, Bella. Komm, lass uns gehen.“
Sie verlassen das Ufer und folgen dem Seerundwanderweg auf der linken Seite über dem Steg. Das Gerede der Leute und das Bellen der Hunde werden leiser. Sie hört das Rascheln der Blätter, das
Knacksen des Holzes.
Nach einer halben Stunde sind sie auf der anderen Uferseite angekommen und sie schaut auf den Parkplatz und den Personen rüber.
„Frohe Weihnachten an alle und frohe Weihnachten an dich“. Sie blickt in den Himmel.
© 2020 Sandra Novak (Wien)
Frei wie ein Mustang
Mit zusammengekniffenen Augen ließ Bob den Blick über die verschneite Winterlandschaft schweifen. Die Sonne schickte vereinzelte Strahlen zwischen den dichter werdenden Wolken hindurch, und er
war froh, Unterschlupf auf dieser Ranch gefunden zu haben. Die Wettervorhersage für Montana hatte einen Blizzard angekündigt, und wer davon unterwegs erwischt wurde, musste dankbar sein, wenn er
das eisige Weihnachtsfest überlebte. Er kehrte zurück in den Stall, wo er nach seinem Pferd sah, bevor er sich die morgendliche Stallarbeit erledigte. Nicht die Lieblingstätigkeit eines Cowboys,
aber in Situationen wie diesen eine erträgliche Alternative zum Erfrieren im Freien.
Er erstarrte, als das Geschrei begann. Früher hatte er sich manchmal eingemischt, herausgekommen war dabei nie etwas Gutes. Sogar eine Kugel hatte er sich eingefangen, doch die Hausherrin hatte
am Ende gegen ihren Beschützer ausgesagt. Kurz darauf flitzte ein kleiner Schatten in den Stall, um in einer der hinteren Boxen zu verschwinden.
„Ist der verdammte Taugenichts hier?“
Mit versteinerter Miene verteilte Bob die Einstreu und ignorierte den Rancher, der mit hochrotem Kopf und Gürtel in der Hand in den Stall spähte. Er setzte seine Arbeit schweigend fort, bis sein
Gastgeber den jüngsten Sohn fluchend woanders suchen ging.
Etwas später winkte er den Jungen heran. „Hier, für dich.“ Er reichte ihm ein kleines Pferd, das er an Abenden am Lagerfeuer geschnitzt hatte. „Denk immer daran, dass jeder irgendwann so frei
sein kann wie ein Mustang.“
„Das ist das schönste Weihnachtsgeschenk auf der Welt!“, flüsterte der Junge und ließ die Hoffnung in Bobs Herzen wachsen.
© 2020 Anathea Westen (Lipperland)
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